Montag, 6. August 2012

Kirche und Stadt - Ein schwieriges Miteinander

Obwohl in vielen Städten die markanten Dome und Kirchtürme die Hauptsehenswürdigkeiten darstellen, ist das Verhältnis zwischen den Kirchen als Institutionen und den Städten als politische und kulturelle Zentren bestenfalls als ein gegenseitiges Ignorieren zu bezeichnen. Mit der Sekularisation haben die Kirchen an politischem Einfluss verloren, mit einer stark schrumpfenden und überalterten Mitgliedschaft auch an kultureller und moralischer Bedeutung. Die in der Postmoderne gesellschaftlich sehr ausgeprägte Suche nach dem Übersinnlichen geht an den traditionellen Glaubensgemeinschaften vollständig vorbei und findet auch keinen Ausdruck mehr in der Architektur und dem sozialen Leben von Städten. Historisch gesehen ist das eine Ausnahmeerscheinung.

Die ersten Städte der Menschheit hatten als zentralen Ort und Grund einen räumlich meist ausgedehnten Tempelbezirk, von dem aus das sakrale Gotteskönigtum die historischen Grossreiche begründete und verwaltete. Die politische und räumliche Einheit von Kirche, Stadt und Staat zerbrach im Mittelalter, spätestens in der Reformation, obwohl hier auch die Städte eine zentrale Rolle spielen sollten. Mit der Aufklärung und der Französischen Revolution manifestierte sich der moderne Staat nicht nur als konfessionell neutral, sondern auch als antikirchlich - fast jedes Land sah seine als Kirchenkampf bezeichnete Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat um die politische und soziale Deutungshoheit. Die Städte schlugen sich aus mehreren Gründen auf die Seite des Staates: “Stadtluft macht frei” galt jetzt nicht mehr nur als rechtlicher, sondern auch als kultureller Leitspruch. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land nahm damit in kultureller und sozialer Hinsicht zu, wie er in politischer abnahm.

Heute sind die Kirchen eine von vielen Institutionen innerhalb von Städten ohne kulturelle und politische Bedeutung. Höchstens in sozialer Hinsicht übernehmen die Kirchen einen wichtigen Teil in der Versorgung der Bevölkerung, ohne darin jedoch ausreichend wahrgenommen zu werden. Kirchengebäude finden Nutzung als Orte politischer Diskussionen und musikalischer Darbietungen; als Zentren religiöser Praktiken bleiben sie leer. Doch auch die Städte hatten mit einem Bedeutungsverlust vor allem in ökonomischer Hinsicht zugunsten des Umlandes zu kämpfen, der mit grossen sozialen Problemen einherging. Heute finden sich Städte in einer zwiespältigen Situation: Während sie einerseits mit einer zunehmenden Dienstleistungsgesellschaft wieder zu Zentren der ökonomischen Wertschöpfung und der kulturellen Deutungshoheit werden, nehmen die sozialen Probleme innerhalb ihrer Grenzen eher zu als ab. Aufgrund unzureichender Steuereinnahmen fehlen ihnen die Instrumentarien, um darauf angemessen reagieren zu können. Hier können die Kirchen bzw. allgemein alle Glaubensgemeinschaften eine grössere Rolle spielen, in dem sie ihr bisheriges soziales Engagement ausweiten und zugleich mit einem ethischen Standpunkt verbinden, der dem sozialen Zusammenhalt und der öffentlichen Infrastruktur innerhalb von Städten zugute kommt. Dazu müssen jedoch die Kirchen einerseits aus ihrer Sinnkrise herauskommen, andererseits die Städte ihr Verhältnis zu Glaubensgemeinschaften neu definieren. Das bisherige gegenseitige Ignorieren wird weder den Problemen der Kirchen noch der Städte gerecht.

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