Obwohl
in vielen Städten die markanten Dome und Kirchtürme die
Hauptsehenswürdigkeiten darstellen, ist das Verhältnis zwischen den
Kirchen als Institutionen und den Städten als politische und kulturelle
Zentren bestenfalls als ein gegenseitiges Ignorieren zu bezeichnen. Mit
der Sekularisation haben die Kirchen an politischem Einfluss verloren,
mit einer stark schrumpfenden und überalterten Mitgliedschaft auch an
kultureller und moralischer Bedeutung. Die in der Postmoderne
gesellschaftlich sehr ausgeprägte Suche nach dem Übersinnlichen geht an
den traditionellen Glaubensgemeinschaften vollständig vorbei und findet
auch keinen Ausdruck mehr in der Architektur und dem sozialen Leben von
Städten. Historisch gesehen ist das eine Ausnahmeerscheinung.
Die
ersten Städte der Menschheit hatten als zentralen Ort und Grund einen
räumlich meist ausgedehnten Tempelbezirk, von dem aus das sakrale
Gotteskönigtum die historischen Grossreiche begründete und verwaltete.
Die politische und räumliche Einheit von Kirche, Stadt und Staat
zerbrach im Mittelalter, spätestens in der Reformation, obwohl hier auch
die Städte eine zentrale Rolle spielen sollten. Mit der Aufklärung und
der Französischen Revolution manifestierte sich der moderne Staat nicht
nur als konfessionell neutral, sondern auch als antikirchlich - fast
jedes Land sah seine als Kirchenkampf bezeichnete Auseinandersetzung
zwischen Kirche und Staat um die politische und soziale Deutungshoheit.
Die Städte schlugen sich aus mehreren Gründen auf die Seite des Staates:
“Stadtluft macht frei” galt jetzt nicht mehr nur als rechtlicher,
sondern auch als kultureller Leitspruch. Der Gegensatz zwischen Stadt
und Land nahm damit in kultureller und sozialer Hinsicht zu, wie er in
politischer abnahm.
Heute
sind die Kirchen eine von vielen Institutionen innerhalb von Städten
ohne kulturelle und politische Bedeutung. Höchstens in sozialer Hinsicht
übernehmen die Kirchen einen wichtigen Teil in der Versorgung der
Bevölkerung, ohne darin jedoch ausreichend wahrgenommen zu werden.
Kirchengebäude finden Nutzung als Orte politischer Diskussionen und
musikalischer Darbietungen; als Zentren religiöser Praktiken bleiben sie
leer. Doch auch die Städte hatten mit einem Bedeutungsverlust vor allem
in ökonomischer Hinsicht zugunsten des Umlandes zu kämpfen, der mit
grossen sozialen Problemen einherging. Heute finden sich Städte in einer
zwiespältigen Situation: Während sie einerseits mit einer zunehmenden
Dienstleistungsgesellschaft wieder zu Zentren der ökonomischen
Wertschöpfung und der kulturellen Deutungshoheit werden, nehmen die
sozialen Probleme innerhalb ihrer Grenzen eher zu als ab. Aufgrund
unzureichender Steuereinnahmen fehlen ihnen die Instrumentarien, um
darauf angemessen reagieren zu können. Hier können die Kirchen bzw.
allgemein alle Glaubensgemeinschaften eine grössere Rolle spielen, in
dem sie ihr bisheriges soziales Engagement ausweiten und zugleich mit
einem ethischen Standpunkt verbinden, der dem sozialen Zusammenhalt und
der öffentlichen Infrastruktur innerhalb von Städten zugute kommt. Dazu
müssen jedoch die Kirchen einerseits aus ihrer Sinnkrise herauskommen,
andererseits die Städte ihr Verhältnis zu Glaubensgemeinschaften neu
definieren. Das bisherige gegenseitige Ignorieren wird weder den
Problemen der Kirchen noch der Städte gerecht.
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